Ist der Onlinehandel in der Krise?

 

Ist der Onlinehandel in der Krise?

Die „Apocalypse Now: Einzelhandel im Dauerkrisenmodus“ so titelte Prof. Dr. Heinemann seinen Vortrag kürzlich auf dem K5 Kongress in Berlin. Viele Onlinehändler verzeichnen hohe Umsatzrückgänge von 20 bis 25%, gepaart mit nie dagewesenen Kostensteigerungen und vollen Lägern. Zudem steigen die Insolvenzzahlen seit einigen Monate merklich an.

Die Onlinehandelsszene kennt diese Situation nicht. Die letzten Jahre waren stets geprägt von stetigem Wachstum. Steigende Kosten konnten durch höheres Wachstum überkompensiert werden und günstige Fremdfinanzierungskonditionen befeuerten diesen Kreislauf zunehmend.

Profitabilität statt Wachstum

Was die letzten Jahre funktioniert hat, hilft aktuell nicht mehr weiter. Profitabilität muss jetzt vor Wachstum stehen. Der Modus muss sich ändern. Das Controlling ist aktuell wichtig, um den gesunden Umsatz vom „ungesunden“ Umsatz (negativer DB) zu lokalisieren. In den letzten Wachstums-Jahren wurde nicht genau hingeschaut und die Deckungsbeiträge häufig nur auf Basis der Rohmarge berechnet. Die Betrachtung der Marketingkosten, Retourenkosten, Fulfillment/-Lagerkosten auf Artikel-Basis wurde häufig nicht gemacht. Wenn diese Betrachtungsweise herangezogen wird, kommen Artikel zum Vorschein, die „ungesunden“ Umsatz generiert haben und am Ende zu einem negativen Ergebnisbeitrag geführt haben. Mit der artikelbezogenen KUR (Kosten-Umsatz-Rendite) lassen sich diese Sortimentsbereiche mittels ABC-Analyse identifizieren. Wenn die komplette Kette inkl. Retouren durchgerechnet wird, stellen Unternehmen fest, dass bei dem sogenannten C-Artikelsegment, nicht erfolgreich gewirtschaftet wurde. Dies gilt es so schnell als möglich abzustellen.

Online Marketing im Fokus

Das Performance Marketing muss stärker durch Kennzahlen gesteuert werden. Was in den letzten Jahren häufig mit der Gießkanne investiert wurde, muss nun zielgerichtet erfolgen. Unrentable Werbemaßnahmen müssen reduziert oder eliminiert werden. Was übrig bleibt, wird nicht mehr anhand Umsatz gesteuert, sondern anhand Deckungsbeitrag (DB). Zum Beispiel lässt sich das über Labels bei Google Ads mitgeben und dann zielgerichtet aussteuern. Somit liegt der Fokus mehr auf profitable Produktverkäufe und zielgerichtetes Marketing-Budget. Auch die Marketing-Kanäle sind zu prüfen, nicht mehr „Sichtbarkeit überall“ ist gefragt, sondern Fokus auf Kanäle, die betriebswirtschaftlich sinnvoll sind. Im Online Marketing lassen sich sehr schnell Kosten reduzieren und schnelle Ergebnisse erreichen. Eine Methode ist das Pareto-Prinzip, hiernach werden 80% der Ergebnisse durch 20% des Einsatzes generiert. Das kann helfen um den Fokus auf die richtigen Werbe-Kanäle zu identifizieren und Aufwand zu reduzieren.

So hat z. B. About You im Qurtalsbericht Juni 2023 ein positives Ergebnis gemeldet. Dies war nur möglich, da die Marketingkosten um ca. 50% reduziert wurden (von KUR: 20% auf ca. 10%). Trotz der Maßnahme konnte der Umsatz und Anzahl der Bestellungen gegenüber Vorjahres-Quartal gesteigert werden.

Sortiment bereinigen

Aktuell ist viel zu viel Ware im Umlauf, die Lager sind voll. Bei der genauen Betrachtung anhand einer ABC-Analyse oder Renner-Penner-Analyse oder Retourenquote, wird deutlich, dass die C-Artikel wenig Ergebnisbeitrag bringen und Kosten produzieren. Lagerkosten, Kapitalbindung und ebenso für den Onlineverkauf die Content-Produktionskosten und Kosten für Online Marketing, führen zu einem negativen Deckungsbeitrag. Ein zielgerichtetes Abschneiden von Sortiment und die Fokussierung auf den profitablen Sortimentsbereich, der einen gesunden Lagerumschlag bietet, sind anzustreben. Ebenso ist es möglich, die Eigen-Lagerhaltung zu reduzieren und Langsam-Dreher im höheren EK-Bereich nach Bedarf beim Lieferanten zu bestellen. Hier muss mit längeren Lieferzeiten gearbeitet werden, allerdings lässt sich das Risiko von Fehleinkäufen und Kapitalbindung reduzieren.

Automatisierung – gerade jetzt

Gerade in Zeiten, in denen es ruhiger im Unternehmen ist, sollte die Chance genutzt werden: Die Geschäftsprozesse kritisch zu hinterfragen und zu optimieren. Durch straffere Prozesse, das Abschneiden von „Sonderlöckchen“ und besseren Einsatz von IT-Systemen und Schnittstellen, lassen sich erhebliche Vorteile erreichen. Die manuellen Prozesse, die in den Jahren mit 2-stelligen Umsatz-Wachstumsraten aufgebaut wurden, sollten kritisch hinterfragt werden und die Möglichkeiten zur Automatisierung geprüft werden. Erfahrungsgemäß kann in der Content-Produktion (Stammdaten, Artikel, Texte), Kundenservice und Finanz-/Paymentbereich durch mehr IT-Einsatz und bessere Prozesse wesentliche Kosteneinsparungen erreicht werden.

Die neuen Möglichkeiten der generativen KI mit ChatGPT sind gewaltig. Hier lassen sich o. g. Bereiche sehr gut unterstützen oder automatisieren. Ganze Workflow-Prozesse können mit KI-Instanzen intelligenter gesteuert werden. Durch AutoGPT lässt dies dieser Ansatz noch wesentlich weiter ausprägen, als mit ChatGPT. Da autonome KI-Instanzen als Worker (Slave) genutzt werden, die komplette Aufgabenstellungen orchestrieren und abarbeiten.

IT muss modernisiert werden

Auch die IT-Systeme und Schnittstellen sollten durch eine Analysephase laufen. Ältere IT-Systeme (ERP, Online-Shop, PIM, etc.) die häufig mangels Zeit und Ressourcen kein Release-Update erfahren haben, sollten jetzt angegangen werden. Jetzt ist die Gelegenheit, alte Zöpfe abzuschneiden und die Systeme zu modernisieren. Auch der Austausch von Systemen sollte geprüft werden, um Kosteneinsparungen zu erzielen, oder oben genannte Automatisierungsmöglichkeiten stärker zu nutzen. Häufig kommt bei der Analyse auch zu Tage, dass durch den Einsatz von Standard-Konnektoren sich Zielsysteme besser anbinden lassen und die intern aufgebauten halb-manuellen „Workarounds“ deaktiviert werden können. Das sind meist Altlasten der Vergangenheit, die eliminiert gehören. Gepaart durch moderne IT und höherer Automatisierung lassen sich große Effizienzvorteile zukünftig einfahren.

Bestandskunde vor Neukunde

Eine Trendumkehr in Marketing und Vertrieb. Früher zielte alles auf Neukunden ab. Die sind allerdings am teuersten bei der Kundengewinnung. Auf Grund schmaleren Budgets, sollte ein Fokus auf die Bestandkunden gerichtet werden. Das CRM und Analysen geben hier wichtige Ansatzmöglichkeiten, welche Kundensegmente besonders signifikante Korrelationen für weitere Produktverkäufe bieten. Auch Newsletter-Aktionen mit Bestandskunden zum Abbau von Lagerware bietet eine schnelle und kostengünstige Entspannung.

K+F – die Phase sich fit zu machen

Die oben dargestellten Maßnahmen zielen auf K+F: Konsolidieren und Fokus.
In Krisenzeiten muss die Chance genutzt werden das Unternehmen zu reinigen und neu zu sortieren. Das bietet die Möglichkeit, Ballast abzuwerfen und sich neu aufzustellen. Auch schneidet man in Krisenphasen eher „alte Zöpfe“ ab als in Wachstumsjahren. Die Bereinigung im Markt und Branche ist normal. Hier kommen nur die Unternehmen durch, die Ihre Themen erkennen und anpacken. Es kommt auf jeden Fall wieder eine Aufwärtsphase. Zu diesem Zeitpunkt sollte jedes Unternehmen fit in den Startlöchern stehen und bereit sein, wenn es wieder losgeht.

Autor: Alexander Riezler (GF), QUANT Consulting

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